Über das Schreiben


Zwar ist meine Geschichte des Malens ein paar Jahre älter als die Geschichte des Schreibens, aber mal ehrlich: was machen schon ein paar Jährchen hin oder her letztlich aus, wenn man über auf über ein halbes Jahrhundert gelebtes Leben zurückblicken kann? Mein Leben als schreibender Mensch beginnt in meinem siebten Lebensjahr. Dank der engagierten Unterstützung meines Vaters und der Ermutigung durch meine Lehrerin, Frau Stamer, habe ich als Erste in der Klasse lesen gelernt. Mir war frühzeitig klar, dass ich mir mit Lesen eine ganz neue Welt erschließen konnte, oder, besser: viele viele Welten.

Als ich alle Buchstaben kannte, schrieb ich meine erste Geschichte. Sie handelte von den Ferien eines Großstadt-Mädchens auf einem Bauernhof, einer Begegnung zwischen zwei Welten, der Land-Welt und der Stadt-Welt. Wobei ich die Stadt-Welt nur aus Schilderungen von Sommergästen kannte. Aus dem, was ich hörte, formte meine Phantasie eigene Bilder. So gab es "mein" Berlin schon lange, bevor ich die Stadt zum ersten Mal wirklich erlebte. "Über das Schreiben" - weshalb spielten Lesen und Schreiben eine so große Rolle in meiner Kindheit, in meiner Jugend, in meinem ganzen Leben - und weshalb musste dann über ein halbes Jahrhundert vergehen, bevor ich zum ersten Mal etwas "richtig" veröffentlichte?

Darüber lässt sich nur spekulieren. War es die frühe Entmutigung als ich 1975 meinen ersten Romanentwurf an zwanzig Verlage schickte und nur etwa die Hälfte meine Seiten überhaupt zurücksandten und diese mit mehr oder weniger nichtssagenden Ablehnungsfloskeln? War es die Wiederentdeckung des Malens als Medium, der Welt etwas sagen zu wollen, das das Schreiben verdrängte? Ich weiß es nicht. Eins meiner Schreib-Rückzugsgebiete wurde jedenfalls die Lyrik. Lyrische Lesungen, Rezitieren lyrischer Texte bei Vernissagen, handgearbeitete Lyrikbände für Liebhaber/innen meiner spezifischen Schreibe und Weltsicht. Und: Was ich darüberhinaus über 40 Jahren lang tat und tue, ist, ein Tagebuch zu führen. Mittlerweile nehmen die gesammelten Notizen eine ganze Regalabteilung ein: ein Meter breit, zwei Meter hoch. Flankiert von Zitaten, Zeitungsartikeln, Reiseberichten, Briefen, Souvenirs und anderen Zeitdokumenten. Warum dieses stetige Dokumentieren, weshalb, wozu, für wen? Auch darauf kann ich nicht wirklich eine schlüssige Antwort geben. Schreiben ist mir seit Jahrzehnten ein essentielles Bedürfnis. Ja, letztlich eigentlich wirklich seit dem Zeitpunkt, als ich alle Buchstaben kannte. Schreiben als Selbstausdruck, als Reflexionsvehikel, als Lust an der Erschaffung eigener Welten, als Meditation, als Frustventil, als Trost.

Schreiben: erst mit der Hand, dann mit der Schreibmaschine, mit diversen Generationen von Computern und schließlich mit dem i-book. Schreibblockaden kenne ich nicht. Und nun fröne ich der neuerwachten Lust am Veröffentlichen. Ebenso wie meine Bilder Einladungen zur Kommunikation sind, sind es auch meine Texte. So werde ich Schritt um Schritt alles mögliche hier ins Netz stellen: meine Lyrischen Texte, Kurzgeschichten, Betrachtungen, Ideen ... und ich bin gespannt auf die Resonanz.

Sigrid Engelbrecht